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DE ANIMADigitale Edition & Analyse eines neu entdeckten jesuitischen Manuskripts

Das Wolfenbütteler Manuskript der jesuitischen Compendia der Philosophie, Theologie und Kosmologie in japanischer Übersetzung (ca. 1595)

Das von der DFG geförderte Projekt DE ANIMA (Projektnummer 525286644) verbindet Fragen des europäisch-japanischen Wissenstransfers im Kontext der Jesuitenmission mit dem Potential digitaler wissenschaftlicher Editionen. Ziel ist die Erstellung einer Online-Edition einer um 1600 entstandenen Jesuitenhandschrift aus Japan, die heute in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel aufbewahrt wird. Zu diesem Zweck arbeiten Sven Osterkamp und Sophie Takahashi vom Lehrstuhl Sprache und Literatur Japans eng mit der besitzenden Bibliothek in Wolfenbüttel zusammen.

Die sogenannten Compendia, die ursprünglich 1593 auf Lateinisch verfasst wurden, bestehen aus drei Teilen: De Anima über die aristotelische Seelenlehre, De Theologia über tridentinische Theologie und De Sphaera über ptolemäische Kosmologie. Bestimmt waren sie für den Gebrauch in den Jesuitenkollegien in Japan und später in Macao, so dass sie die dortigen Vorlesungen über Wissenschaft und Religion unmittelbar dokumentieren. Das Wolfenbütteler Manuskript Cod. Guelf. 7.5 Aug. 4°, das erst Ende 2019 identifiziert wurde (siehe Osterkamp 2020b, 2023b), ist das erste bekannte Zeugnis der gesamten dreiteiligen Compendia in japanischer Übersetzung (ca. 1595).

Ein weiterer Textzeuge war bereits 1995 im Magdalen College in Oxford entdeckt worden, diesem fehlt jedoch der dritte Teil. Dieser kosmologische Teil ist von besonderer Bedeutung, da er den frühesten Fall wissenschaftlichen Wissenstransfers von Europa nach Japan bezeugt (siehe Hiraoka 2023). Gleichzeitig ist die Entdeckung eines bedeutenden frühen Jesuitentextes aus Japan in einer deutschen Sammlung an sich schon ein bemerkenswertes Ereignis. Nur zwei weitere Texte aus diesem Kontext werden derzeit in Deutschland aufbewahrt, beides Drucke, die sich auch anderswo erhalten haben.

Die umfangreiche Wolfenbütteler Handschrift mit ihren annähernd 800 Seiten weist mehrere Besonderheiten auf, deren Zusammenspiel zu einer einzigartigen mise-en-page führt. So findet sich eine Fülle von lateinischen, portugiesischen und bisweilen spanischen Lehnwörtern, wiedergegeben in verschiedenen Schriftsystemen: in Lateinschrift, japanischen katakana und chinesischen Schriftzeichen, gelegentlich sogar in griechischer Schrift. Zudem sind umfangreiche lateinische Zitate, nomina sacra, Illustrationen astronomischer Instrumente und Diagramme, die ein geozentrisches Weltbild vermitteln, in den japanischen Haupttext integriert.

Mit der digitalen Edition, die von der Wolfenbütteler Digitalen Bibliothek gehostet werden wird, erhalten nicht nur WissenschaftlerInnen weltweit einen komfortablen Zugang zu diesem Schlüsseltext der Geistesgeschichte. Sie wird auch der Beantwortung von Forschungsfragen in einem Bochumer Dissertationsprojekt dienen. Die Dissertation verfolgt einen zeitgemäßen Ansatz, der sich Methoden der Computerlinguistik und der Digital Humanities zunutze macht. KI-gestützte Hilfsmittel, die auf historisches Japanisch abgestimmt wurden, KI-Modelle für die Texterkennung und quantitative Analysen (Themenmodellierung, Stilometrie, Verteilungsmuster sprachlicher Merkmale), die auf Grundlage eines vergleichenden Textkorpus durchgeführt werden, dienen hier der Identifizierung der jesuitischen Autoren und Übersetzer und sollen letztlich eine genauere Datierung des Wolfenbütteler Manuskripts ermöglichen.

Publikationen zum Wolfenbütteler Manuskript der Compendia
  • Hiraoka Ryūji 平岡隆二 (2022): »Tōzai kosumorojī-no deai-to kirishitan bunken« 東西コスモロジーの出会いとキリシタン文献. In: Kishimoto Emi 岸本恵実 / Shirai Jun 白井純 (eds.): Kirishitan gogaku nyūmon キリシタン語学入門. Tōkyō: Yagi shoten, pp. 39–40.
  • Hiraoka, Ryuji (2023): »The Discovery and Significance of Sufera no nukigaki (Selection on the Sphere), a Jesuit Cosmology Textbook in Japanese Translation«. In: Historia Scientiarum [ISSN 0285-4821 (online: 2436-9020)] 32.2: 88–116. [doi.org/10.34336/historiascientiarum.32.2_88]
  • Osterkamp, Sven (2020b): »Eine Wiederentdeckung in der Herzog August Bibliothek: Zum Wolfenbütteler Manuskript der jesuitischen Compendia der Philosophie, Theologie und Kosmologie in japanischer Übersetzung«. In: HABlog. [HAB; pdf version with footnotes and references]
  • Osterkamp, Sven (2023b): »The textual history of the Jesuit Compendia in Latin and Japanese as seen from the newly identified manuscript at Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel«. In: Historia Scientiarum [ISSN 0285-4821 (online: 2436-9020)] 32.2: 63–87. [doi.org/10.34336/historiascientiarum.32.2_63]
  • Takahashi, Sophie (2023a): [review] »The Samurai and the Cross. The Jesuit enterprise in early modern Japan, by M. Antoni J. Ucerler, S. J. New York, Oxford University Press, 2022, 445 pp., £29.99 (hardback), ISBN 9780195335439«. In: Contemporary Japan. [doi.org/10.1080/18692729.2023.2266898]